Freitag, Juli 26

Christian Rottler & Galakomplex - Augenrändercharme


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Glücklicherweise ist Musik nicht vergänglich, das hat sie der Zeit voraus. Christian Rottler's kleiner Indiehit "Feuer" überlebte MotorFM (heute FluxFM), in dessen Setlist der Song 2006 rauf und runter lief. Seine Punk- (H-Milk) und Metal-Vergangenheit (Die Auranatik) hat er zu diesem Zeitpunkt bereits längst hinter sich gelassen, wandte sich nach der Jahrtausendwende mehr und mehr dem emotionalen Pop (Drei Farben Schwarz, Goldberg) und der Elektronik (Christian Rottler vs. Somos) zu.

Seine Zusammenarbeit mit Songschreiber und Gitarrist Jan Fischer lag nicht nur zeitlich, sondern auch musikalisch irgendwo dazwischen. Zwei Jahre lang probierten sich die zwei im minimalistischen Lo-Fi-Sound aus, bis sie merkten, dass ihre Songs nach mehr verlangten. Nach und nach rückten so immer mehr Musiker in die Arbeitsgruppe, bis schließlich die Band Galakomplex in ihrer endgültigen Formation stand, um den Songs von "Augenrändercharme" mehr Fülle zu verpassen.

"Feuer", das nun also als Vorab-Single ins Rennen geschickt wurde, braucht im Wesentlichen nicht mehr als diese eine akustische Hookline und Rottler's melancholischen Gesang, um den besungenen Drogen- in einen wahren Sinnesrausch umzustürzen, der sich mit jeder Wiederholung ein Stück weiter vor ins Bewusstsein drängt, bis man sich schließlich selbst als Protagonist im exzessiven Nachtleben wiederfindet, in der alles oder eben nichts einen Sinn ergibt. "Haut Culture" kommt da schon etwas flotter, taktvoller und mit Ansatz-Rap aus den Startlöchern, erweist sich hinsichtlich der folgenden Songs aber als gezielte Finte für die bis hierher verwöhnte Rhythmusfraktion. Die groteske Bluesballade "Wasser hat ein Gedächtnis und schlägt mir gegen die Schädelwand" breitet zwar die Flauschdecke vor dem Kamin aus und bietet endlich mal die Gelegenheit, seine Jörg-Fauser-Literatur zu entstauben. Aber genau wie das folgende "Freesolo-Freihand" entpuppt sich der Song eher als Geschichte, die Rottler bedächtig mit warmer und sanfter Stimme bzw. fast flüsterndem Sprechgesang, vor sich hin trägt. Hier schimmern seine journalistischen Arbeiten als Kurzgeschichten- und Drehbuchautor und als Hörspiel-Produzent (u. A. "Nahkampf oder Telefonieren" u. "Heldenfällen") vielleicht am deutlichsten durch.

"Proust ist mein Leben und es langweilt mich sehr" oder "Schön, wenn man beim Ficken zu zweit ist".

Christian Rottler liest also Marcel Proust und geht in Gedanken mit Martin Walser fremd. "Proust ist mein Leben" (siehe und höre HIER) ist mit nicht einmal zweiminütiger Spielzeit der kürzeste Song des Albums und zeigt, dass es inhaltlich auf "Augenrändercharme" nicht ganz leicht werden wird. Allein um die Idee hinter diesem Song zu entlarven, benötigt es das Wälzen einer dreiseitigen Gedankensammlung Rottler's, die sich auch gut und gerne als Sekundärliteratur lesen könnte. Seine Texte sind kryptisch und lassen dem Hörer bei der Interpretation dieser eine Menge Spielraum, ohne dabei jedoch den Anschein zu erwecken, pseudointellektuell wirken zu müssen. Verbündete im Geiste zu finden, Gedankenmanipulation oder schlicht die Rettung der Welt, ist schließlich nicht das bedingungslose Ziel seiner Musik. Man kann die Zeilen seiner Texte auch einfach für sich stehen lassen, mit der Nostalgie in der John-Cage-Hommage "4:33" (HIER) und im jazzigen "Wind" (HIER) schwimmen, oder alles der Kunstmusik zuschreiben. Muss man aber nicht.

Mit siebenjähriger Verspätung soll "Augenrändercharme" nun also im Sommer/Herbst 2013 auf Vinyl gepresst und über das Label Voodookind erscheinen, dessen Rillen auf zwölf Songs ausgebreitet werden. Vielleicht ja sogar mit einem ausgiebigen Beiblatt mit Gedanken und Hintergründen der Beteiligten zu den Songs, denn das allein wäre schon ein verdammt guter Kaufgrund.
  


Voodookind

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