Sonntag, Dezember 21

Der Bandcamp-Hardcore Vol.28

Masada



Wer sich nach dem unbetitelten Opener ihres Demo-Debüts denkt: Naja, ist ja ganz netter 08/15-Screamo, der sollte nicht voreingenommen abschalten. Das junge Quartett Masada aus Erlangen offenbart nämlich erst im zweiten Song "indifference", wo die eigentliche Reise hingehen soll. Der steigt zunächst etwas wüst ein, zerfließt dann aber urplötzlich in einer zweispurigen, locker-leichten Indie(-pop)-Melodie, die auch das wenig später erneut einsetzende Geschreie nicht wirklich aus der Bahn werfen kann. Das folgende "defeat" fügt dem Genre-Mosaik der Band sogar noch einige Bausteine mehr hinzu und schweißt der Nahtstelle zwischen Screamo, Indie und Post-Rock noch ein fettes Hardcoreriff an. Ok, in der Theorie klingt das jetzt sicherlich nicht gerade nach der großen Screamo-Revolution. Ist es auch nicht. Die Faszination bei Masada liegt auch vielmehr darin, wie ureigen die Band zwei grundverschiedene Stimmungen im Einklang bringt. Da ist zum einen das zerreißende, inbrünstige Geschreie auf melodisch-ausufernden Gitarren im Hintergrund, die scheinbar gar keinen allzu großen Bock auf Tristesse haben. Zum anderen sticht die Band vor allem durch ihren krassen und abrupt einsetzenden Kontrast von wechselnden ungestümen und seicht plänkelnden, fast schon poppigen Parts, aus der Masse heraus. Klingt irgendwie ... geil!

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DL Demo


MyManMike

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Eine Gitarre, die Zuflucht im Punk sucht + Presslufthammerdrums + trashiges Powerviolenceduettgekreische = der Stoff, aus dem die Albträume eines jeden Nachbarn gemacht sind. Ihre Anfangsgeschichte könnten sich die drei Mitglieder von MyManMike auch von einem schlechten Witz entliehen haben, der in etwa so einleitet: Ein Amerikaner, ein Franzose und ein Süd-Koreaner kommen in eine Bar. [...]. Einige Biere und stundenlanges Fachgesimpel über Hardcore- und Punkmusik später, war der koreanische Untergrund um eine Band reicher. Dabei haben MyManMike nach mittlerweile drei Bandjahren immerhin schon die halbe Welt bereist, eine große Europa- und Nordamerika-Tour absolviert und hinterließen in sämtlichen Szenegrounds einen bleibenden Eindruck. Ein Grund dafür ist auch - neben dem politischen Engagement des Trios - , dass die Band ihren Powerviolence-Trash-Punk eher unkonventionell über die Bühne bringt und neben nervösen Zappeleinlagen vor allem auch die Tanzbeine animiert. Das dann als Melodic Fastcore zu betiteln wäre vielleicht etwas zu gut gemeint, soll aber zumindest zum Ausdruck bringen, dass MyManMike mehr zu bieten haben, als dissonanten Epileptiker-Hardcore.


Buy Here, Here, Here, Here & Here


 Kind Eyes

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Hinter Kind Eyes verbergen sich zwei ex-We Are Carnivoles-Mitglieder bzw. eine Hälfte Wedding, die sich mit ihrem 2012 gegründeten Bandprojekt gar nicht all zu weit weg von ihren Roots entfernen wollen. Diese liegen auch hier im Riffrock, wobei die beiden Engländer aus Margate tunlichst darum bemüht sind, alle möglichen Facetten im Rahmen einer Zweimannbesetzung abzudecken. Das ist im Duo-Vergleich zwar weniger abwechslungsreich als beispielsweise Dyse, was aber auch gar nicht weiter schlimm ist, denn letztendlich wollen sie mit Kind Eyes schließlich ihr eigenes Süppchen kochen. Die Zutaten dafür leihen sie sich vom Post-Hardcore, Alternative, Mathrock, Indie und Noise-Rock, die sie schizophren auf die 19 Songs ihrer bisherigen zwei selbstveröffentlichten Alben verteilen. Während das selbstbetitelte Debüt noch wesentlich wüster aus den Startlöchern kam, haben Tim (Gitarre und Vox) und Chris (Schlagzeug, Vox) auf "It's OK, it's not OK" ihren Songs einen Feinschliff verpasst. Nicht für's Radio, sondern zu Gunsten der Albumhomogenität. Der Ansatz von atmosphärischer Melancholie findet ebenso seinen Platz, wie der Einsatz von kontrollierter Avantgarde. Dennoch schafft es auch auf "It's OK, it's not OK" kein einziger der zehn Songs, eingängig die Ziellinie zu überqueren, da immer wieder spontane oder angekündigte Ausbrüche jedweilige Harmonie zerstören. Gelernt ist eben gelernt.
Sowohl "Kind Eyes" als auch "It's OK, it's not OK" sind bislang nur digital erhältlich. Wenn es nach dem englischen DIY-Label SuperFi Records geht, könnte Letzteres aber schon bald den Weg auf 12"-Vinyl finden.

DL It's OK, it's not OK LP
DL S/T LP


Strafplanet

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Bratze und Aavas haben den Strafplaneten Erde bereits vor Jahren besungen, der in diesem Jahr verstorbene Vorzeige-Nazi Axel Stoll hatte ohnehin seine ganz eigene (Verschwörungs-)Theorie dazu. Die Grazer Band Strafplanet macht dieses Thema nicht nur in ihrem Namen zum Status Quo, sondern jagt es, angestachelt von einer extrem wütenden Frontfrau, auf ihrem Demo-Debüt durch acht wilde Powerviolence-Nummern. Etwas mehr als neun Minuten dauert der Tobsuchtanfall, der sich jedoch erstaunlich viele Trashpausen gönnt und mit treibenden Mosh-, Downtempo- und sogar äußerst melodischen Parts immer wieder die Nähe zum Crust- und Hardcore-Punk sucht und sich somit auch gar nicht all zu weit weg bewegt von den Nebenbeschäftigungen der Bandmitglieder in etwa BØREDØM oder Catholic Guilt.
Ihr weißes Demotape erschien in einer limitierten Auflage von 100 Stück über das Berliner Label Colossus Tapes und ist dort bereits seit längerer Zeit ausverkauft. Restbestände liefern Halo of Flies und Bis Auf's Messer.

DL Demo Tape

Buy Here & Here or via Mail to: strafplanet@riseup.net


Just Like Rats

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Just Like Rats, eine noch relativ junge Band aus Münster, in der auch Tausendsassa Timo Fietz (ex-Daily Reason und -Stand Fast mit aktuellen Nebenjobs bei Svffer und Notions) involviert ist, kann grundsätzlich dem Emorock zugeordnet werden. Und genauso, wie dem Begriff grundsätzlich ein Spielraum für unterschiedliche Auslegungen eingeräumt wurde, verhält es sich auch mit dem Emorock. Auf ihrer Demo-EP, mit der sie vor fast genau einem Jahr ein erstes Ausrufezeichen setzten, treibt das nordrhein-westfälische Quartett ihre Experimentierfreude bis an die Grenzen des Genres, ohne das eigentliche Ziel dabei aus den Augen bzw. Ohren zu verlieren. So schmiegen sich "Bottle Your Laughter" und der Closer "Ten Years" ungeniert am Gainesville-typischen, rauhen Emo(core)punk an und könnten somit hierzulande auch Fans von Rollergirls, 52 Hertz oder Rivers & Tides beglücken. "2321" steigt mit einem wütenden Hardcore-Punk-Riff ein, begleitet von nicht weniger wütenden Gekleffe, während sich "Fear" mit altväterlichen Alan-Watts-Sample behutsam in unwohlige Melancholie wiegt und der Opener "[...]" einen nicht nur flüchtigen Post-Rock-Gedanken aufsaugt. Just Like Rats schaffen es, all diese Einflüsse auf ihrem Demo-Debüt homogen zu vermengen und trotz wechselnder Aufnahmesessions (Schule, Homerecording, Proberaum) eine enorme Klangsolidität zu erreichen. Immerhin sollten die Songs ja auch eine gemeinsame Split mit ihren englischen Progressive-Punk-Kollegen All the Best Tapes schmücken...

DL Demo


HIGH

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Neues aus Trashhausen, gesponsert mit freundlicher Unterstützung von Spastic Fantastic, dem Nr.-1-Mailorder, wenn's mal wieder etwas ausarten soll. Hinter der jüngst zusammengewürfelten Band HIGH stecken vier altbekannte Gesichter, die mit Gruppen wie Hysterese, Anfack, Doggod, Derby Dolls und Nakam nicht nur bereits auf dem Dortmunder Label vertreten waren, sondern auch einen maßgeblichen Anteil an der Tübinger Punkszene ausmachen. Von wegen schwabenländliche Ruhe, was HIGH nämlich auf ihrer neun Song starken Debüt-7inch lostreten, hinterlässt eine Spur der Verwüstung - und tiefe Narben am Trommelfell. Anhänger des Kultlabels dürften allerdings gelassen auf den rasenden Trashpunk der Band reagieren, erfreuen sich stattdessen der eingeworfenen D-Beat-, Fastcore- und sogar Garageschnipsel und der obligatorischen 80's-Punkkante.
Hundert grüne und zweihundert schwarze 7inches wurden gepresst. Zehn Testpresse befinden sich in der Obhut der Band, wovon zwei als Geschenke an Diejenigen verschickt werden, die DIESEN Beitrag teilen. Und, wer hat noch kein Weihnachtsgeschenk?

DL S/T 7"

Buy Here


Arnø Dübel

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Vom Hartzer zum Bandtitel. Für den vielleicht berühmtesten, einige behaupten auch frechsten Arbeitslosen Deutschlands, Arno Dübel, sicherlich kein großes Ding, hat der Hamburger Edel-Assi ohnehin schon sämtliche Namensrechte an die MWE-Unternehmungsgruppe verscherbelt und ist mit fast 10 000 Facebook-Anhängern auch nicht mehr auf Promotion angewiesen. Rentabler hingegen dürfte sich dieser Beinahenamensklau für das Plauener Quartett gestalten, nicht nur in finanzieller Hinsicht (andere, bspw. eine Unternehmungsgruppe, hätten dafür 30 000 EUR hingeblättert), sondern vor allem, weil sich die beiden Namen bestenfalls von einem Strich durch dem o unterscheiden und die Band somit von einigen ver(w)irrten HartzIV-TVlern profitieren könnte. In den Variationen Arnø Dübel, Arno X Duebel oder einfach bloß Arno Duebel fegt die Band nun also durch's Netz und über die Szenebühnen und beglückt ihre wahren Anhänger mit einem asozialen Mix aus Powerviolence und Punk, den die Band selbst auch gerne als "Hipsterviolence" oder "Bauerviolence" ankündigt.
Eine erste digitale EP steht seit Oktober bereits zu Buche, die für das geplante Split-Tape mit den Dresdner Deutschpunks A!Sexuell nochmal um drei Songs erweitert wurde.

DL S/T #1 EP
DL Split w/ A!Sexuell (nur AD-Seite)



Außerdem



Like Rats From a Sinking Ship

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Einfacher Screamo aus Norwegen? Kannste vergessen! Like Rats From a Sinking Ship sorgten zwischen 2007 bis 2011, spätestens jedoch mit ihrer 2008er Debüt-EP "SXY SXY GSW", für eine Menge Gesprächsstoff im norwegischen Untergrund. Und das hat in dem Land der schier unbegrenzten Hardcoremöglichkeiten durchaus schon etwas zu bedeuten.
Und tatsächlich ist ihre erste LP, die 2011 über dem bandeigenen Label The Perfect Hoax erschien und ihr bislang letztes Release darstellt, nicht so einfach auf den Punkt zu bringen, trotz eines klar erkennbaren roten Fadens, der sich konzeptionell und atmosphärisch durch die neun Songs bzw. fast vierzig Minuten Spielzeit schlängelt. Stilistisch hüpft das Trio aus Trondheim wild im progressiven Screamo umher. Ihr Sound klingt vertraut, allerdings eröffnen sich mit jeden fortlaufenden Song neue Referenzen. "UNDR3553D 4 SUCC355" beispielsweise klingt so verdammt nach dem Schweinerock-Discocore von Pulled Apart By Horses, die düster-melancholischen Elektroklänge mit hinterlegtem Wehgeschrei in "One Bird in the Hand is Worth Nothing" könnten auch als experimenteller Chiodos-Lückenfüller herhalten, während die gegensätzlich dazu Elektro-Hardcore-ballernden "From Russia With Crabs" und "Mørketid" an Shemales From Outta Space of Death (mit ihrem dritten Album mittlerweile absolut referenzwürdig) erinnern. Das klingt vielleicht zunächst nach einem wirren Genregehopse, wurde von der Band allerdings den Umständen entsprechend recht homogen zu einem Album verarbeitet, das im Zwiespalt zwischen Catchyness, etwas rotziger Punkattitüde und viel Atmosphäre eine breite, vorausgesetzt aufgeschlossene, Masse begeistern könnte.
Ob sich die Band derzeit nur im Ruhemodus befindet oder tatsächlich schon ad acta gelegt wurde, ist noch nicht so recht klar. Mit der nicht weniger experimentellen Noisepunkgrindtruppe Barren Womb, der Grindcoreband Forræderi und der Electropunk/Trancecore-Combo Jesus Fucking Christ haben die drei Beteiligten bereits einige Nachfolgeprojekte am Laufen.

Stream & Buy "We Get Along Like a House on Fire" LP

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